Bericht eines Schüler-Workshops

Erfahrungsbericht eines Grenz-Workshops
Grenzen sprengen

Liebe Leser,
ich muss Ihnen unbedingt mitteilen, was sich im Rahmen der Oberstufenprojekttage an unserer Schule ereignet hat! Dreißig Schüler übten über vier Tage vier Stunden lang, ihre eigenen Grenzen zu erkennen und über sich selber hinauszuwachsen. Um die eigene Scheu zu verlieren, mussten sie beispielsweise mit ihrem "Scheinhund" spazieren gehen, ohne dabei ihrer Umgebung Beachtung zu schenken. Es war großartig, wie sie sich den Übungen hingaben! Sie warfen Scheinstöckchen, redeten mit ihm, spielten Verstecken, maßregelten ihn, verabreichten Leckerlis, erzogen ihn oder zogen ihn an der Leine hinter sich her; in drei Gruppen machten sie Führungen über das gesamte Schulgelände. Jedem "Popel", auf dem Boden oder an der Wand wurde besondere Aufmerksam geschenkt; Die Dinge hatten plötzlich eine neue Bedeutung und so schufen sie z.B Welten aus Schrott oder machten sich rührenste Liebeserklärungen in Zeitlupe, sie beschimpften sich, sie tanzten Rücken an Rücken mit zusammengebundenen Beinen, sie ließen sich blind übers Schulgelände führen. Sie mussten alle Arten von Gefühlsnuancen darstellen, sie machten sich Komplimente, übten Kritik, trösteten sich oder heiterten sich gegenseitig auf.
Als mit der roten Nase geübt wurde, herrschte oberstes Gebot, in besonderem Maße wachsam auf das Umfeld zu reagieren und vollen Ernst zu wahren! Bei der roten Nase ließ ich nur Staunen und höchstes Interesse zu, allerdings für jedes kleinste
unscheinbare Detail. Dabei mussten sie über alles staunen und alles untersuchen (z.B. ob das Ohr ihres Gegenübers verrutscht sein könnte...).

Am fünften Tag kam die Bewährungsprobe in der Stadt! Jeder Schüler hatte pflichtgemäß zwei Menschen mit ein paar aufrichtigen Worten eine Rose zu überreichen und einen unnützen Gegenstand seiner Wahl zu verschenken. Das konnte z.B. eine Büroklammer oder ein Nagel sein; jeder musste eine Zeit lang einem Menschen hinterherlaufen und sich in die Gangart und Befindlichkeit desselben hineinversetzen; jeder musste an irgend einer Stelle die rote Nase aufziehen und irgend etwas interessiert bestaunen wie z.B. das Gestänge eines Kleiderständers oder das Ohr eines Busfahrers. Es war umwerfend rührend, wie sie die Menschen mit ihren Rosen erfreuten, diesen etwas Freundlich-Aufmerksames sagten ohne dafür eine Gegenleistung zu erwarten. Sie watschelten zum Teil in Reihen bis zu zwanzig irgendwelchen Passanten quer durch die Stadt hinterher, ohne dass diese eine Ahnung von ihrem "Glück" hatten. Selbst vor der Polizei und den Ordnungshütern machten sie nicht Halt! Sie lächelten die Menschen an und bekamen dieses dreifach zurück! Andererseits machten einige dabei auch die Erfahrung, wie misstrauisch, wie abweisend oder abwesend viele waren. Überall waren die roten Nasen verteilt. Sie standen an Bushaltestellen, winkten aus Bussen, aus Cafés, oder marschierten durch Läden. Die rote Nase wuchs ihnen regelrecht an, so dass sie gar nicht mehr merkten, dass sie diese noch anhatten. Die Krönung waren die Einzelaufgaben: Anna lief im Nieselregen in voller Skimontur durch die Stadt und fragte die Passanten nach dem nächsten Skilift. Lotte, ritt auf einem Steckenpferd mit Cowboyhut durch die Innenstadt in den Drogeriemarkt. Dort holte sie sich ein Paket Haferkleie aus dem Regal, ritt zur Kasse, an allen Leuten vorbei und fragte die Kassiererin ob der Hafer sich auch für ihr Pferd eignen würde. Nach einer Antwort der verwirrten Verkäuferin, stellte sie das Paket wieder zurück und ritt wieder hinaus, Stefanie und Mareike, ebenfalls auf Steckenpferden unterwegs lieferten sich vor der Post eine "heftige" Schießerei, Thomas und Achim saßen in feinen Damenkleidern vor einem Secondhandshop, nippten Kaffee und lasen Zeitung. Mehrere Schülerinnen fuhren im Affentempo mit Bobbycars durch die Stadt und durch Läden. Rachel sang in der Kirche. Sarah rezitierte laut mitten im Buchladen Gedichte. In einem Sporthaus zertraten Schüler, vor den entsetzten Blicken der Käufer, unzerstörbare Brillen, andere schenkten Tee aus oder und begrüßten eintretende Kunden aufs Allerherzlichste, Michaela saß mitten auf dem Platz bei Nieselregen im Sonnenstuhl mit Sonnenbrille, Sonnencreme, Sonnenhut und las ein Buch. Hans hatte vor dem Rathaus einen Tisch mit weißer Tischdecke und zwei Stühlen hingestellt, dazu eine Flasche Wein, zwei Weingläser und Käsehäppchen. Er, bekleidet mit Anzug und Krawatte, hatte sich vorgenommen eine Passantin zu gewinnen, die sich bei dieser Wetterlage über das Rendevous freute. Tatsächlich gewann er nach mehreren Abfuhren das Herz einer nette Dame, die sein Angebot freudig annahm. Sophia und Clarissa sangen Ständchen vor vielen Menschen. Lisa lief mit ihrer Puppe im Arm durch die Stadt. Der Vormittag endete mit drei größeren Flashmopaktionen mit allen Schülern in den größeren Modehäusern, wo sie mehrstimmig sangen oder Becherpercussionen machten.

Dieser Tag ging bei den Schülern und mir unvergesslich in die Geschichte ein. Sie haben so viel Schmunzeln, Lächeln und herzhaftes Lachen ernten dürfen. Die Menschen waren über ihren Mut so begeistert. Selbst noch am Ende des Tages waren die Schüler in ihrem Aktionismus nicht mehr zu bremsen!

Herzliche Grüße , Robert Müller